| Sie sind halbverwildert, halbverhungert, geliebt, verhätschelt und verhasst - die Katzen rund ums Mittelmeer in den Touristenhochburgen. Sie werden von den Urlaubern angelockt, gestreichelt und gefüttert, von den Einheimischen verjagt und mit Steinen beworfen. Sie leben vom Müll der Städte, vermehren sich im Dreck der Häfen und werden zur Plage für Restaurants, Campingplätze und Hotels. | | Dezember in Moraira, einem kleinen Küstenstädtchen an der Costa Blanca in Spanien. Überall trifft man auf streunende Katzen, sie laufen vor den Restaurants, im Hafen, zwischen den Häusern herum. Im Sommer überleben sie mit Hilfe mitleidiger Touristen, im Winter würden sie ohne die Hilfe tierliebender Menschen erbärmlich zwischen den leeren Hotelanlagen verhungern. Aber Frauen wie die alte Schweizerin, die sich im Winter um die dünnen Katzen kümmert, werden von den Einheimischen beschimpft. Tag für Tag kauft sie von ihrer kleinen Rente Futter, streckt es mit gekochtem Reis und fährt durch die Straßen und Gassen, in denen sich schicke Mini-Villen mit liebevoll gepflegten Gärten aneinander reihen, wo die Katzen ihren Wagen schon hungrig erwarten und auf sie zu stürmen. Von den Hausbesitzern wird das nicht gerne gesehen: "Die lockt nur noch mehr Katzen an!" beschweren sie sich - vielleicht nicht zu unrecht, denn umgeworfene und durchwühlte Mülltonnen und nächtliches Geschrei liebeshungriger Kater ist nicht das Bild, was sich der Urlauber vom erholsamen Süden macht. | Die natürliche Auslese, der karge Winter, reduziert die Anzahl der Katzen nun nicht mehr, und im nächsten Jahr werden doppelt so viele Stubentiger das Stadtbild prägen. Um der Katzenplage Herr zu werden fahren nachts Tierfänger durch die Straßen und fangen alle Katzen, derer die habhaft werden können, ein. Das Schicksal dieser Tiere ist unausweichlich - wer holt schon eine Katze im Tierheim ab, wenn bereits hunderte von ihnen durch die Gassen schleichen? Die Katzen, die den Tierfängern entkommen kommen, leben scheu in der Nähe der Menschen, die ihnen Nahrung garantieren. Sie sitzen auf den Fischerbooten und durchsuchen die Netze nach hängen gebliebenen Fischen. Neben Abfallhaufen und Mülltonnen suchen sie nach Essenresten. Wenn man sich ihnen nähert, maunzen sie einen bettelnd an, lassen sich aber selten anfassen - zu viele schlechte Erfahrungen haben sie schon mit Menschen gemacht. Eine humane Lösung, die traurige Lage der Katzen in den Griff zu bekommen, gibt es nicht. Der einzige Weg; das fangen und kastrieren bzw. sterilisieren all der streunenden Katzen, ist wirtschaftlich nicht tragbar und auch realistisch gesehen aussichtslos, da man nicht alle Katzen erwischt; und schon eine kleine Anzahl fruchtbarer Tiere kann sich innerhalb eines Jahres so stark vermehren, dass die Kosten für die Kastration vieler anderer Katzen umsonst waren. | Am Hafen treffe ich auf eine Frau, die den Katzen abends Futter bringt. "Eine Spende für die Katzen!" spricht mich die ältere Deutsche eher barsch an. Ich zögere. "Für die Kastration", fügt sie hinzu. Dafür greife ich in die Tasche und gebe ihr ein paar Peseten. Fünfundachtzig Katzen hätte sie dieses Jahr schon kastriert, für 8000 Peseten (ca. 96 DM) je Operation. Aus eigener Tasche muss sie die Eingriffe bezahlen, betont sie. Und für den Platz am Hafen zahlt sie noch einmal 1000 DM im Jahr, damit die Fischer es ihr erlauben, dort die Katzen zu füttern. Auf Wochenmärkten geht sie für die Katzen sammeln - sicherlich kein einfaches Unterfangen, noch dazu, wenn man ein so wenig umgänglicher Mensch ist wie sie. "Werden die Katzen gefangen?" frage ich sie. "Ja - damit die (die Einheimischen) sie umbringen. Das finden Sie gut, dass die Katzen umgebracht werden?!" raunzt sie mich an, meine Spende noch in der Hand. Erschrocken zucke ich zusammen. "Nein! - ich frage doch nur!" Misstrauisch beäugt mich die Frau und beginnt dann wieder, über die herzlosen Menschen zu schimpfen, die sich nicht um die Katzen kümmern und nicht bereit sind, zu Spenden. Ich weiss nicht, was ich ihr antworten soll - sicherlich hat sie recht und ich schliesse meine Augen vor solchen Problemen, die mir zu groß erscheinen, um sie selbst zu lösen. Andererseits lösen sich diese Probleme schon seit Jahrhunderten von selbst - immer hat es Katzen gegeben, die sich frei vermehrten und starben; eines konnten ihnen die Menschen aber niemals nehmen: ihre Unabhängigkeit. Und so führen selbst diese verwilderten Katzen ein besseres Leben als so manches unserer verhätschelten, aber eingesperrten Haustiere ... Ihr geifernder Tonfall ändert sich in ein liebevolles Gemurmel: "Tschüss, meine Süßen, bis morgen, dann komme ich wieder mit Fresschen. Und wenn der Traktor kommt: lauft davon!" Ich bin erleichtert, als diese kampflustige Frau den Hafen in ihrem weissen Kombi verläßt, um ihre zwanzig Katzen Zuhause ebenfalls zu füttern. | So werden sie auch weiterhin in den Städten des Südens um ihr Überleben kämpfen - scheu, ungeliebt, gejagd - aber frei: Die Katzen von Moraira | |